Lill Tschudi (1911 - 2004) - Eine Künstlerin im Spannungsfeld von Vergangenheit und Zukunft.

 

Lill Tschudi war eine Schweizer Künstlerin, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine markante Rolle in der Bewegung der Grosvenor School of Modern Art spielte. Die Grosvenor School in London gilt als eine bedeutende britische Kunstschule, die vor allem in den 1920er und 1930er Jahren aktiv war. Die Schule ist eng mit der Entstehung des britischen Modernismus verbunden, insbesondere mit der populären Kunstform des Linolschnitts, und trug zur Verbreitung des Art Déco-Stils bei.

Die handwerklichen Fähigkeiten zum Drucken von Linolschnitten entwickelte die Künstlerin durch den Unterricht bei ihrem Lehrer Claude Flight in London weiter. Dieser blieb über die nächsten Jahrzehnte stets ein Mentor von Lill Tschudi. Bei Claude Flight und seiner Künstlerkollegin Edith Lawrence erlernte Tschudi ebenfalls die Grundlagen der Aquarellmalerei. Das Werk von Lill Tschudi ist vielfach von der Auseinandersetzung mit Modernität, Farbe und Form geprägt, wobei sie sowohl figürliche als auch abstrakte Elemente miteinander verband. Ihr ganz eigenes Zusammenspiel von klassischen Motiven, modernen Techniken und einem untrüglichen Gespür für das ästhetische Potenzial von Farbe und Linie zeichnet sie aus.

 

Lill Tschudi bewegte sich in verschiedenen künstlerischen Strömungen. Von figürlichen Darstellungen, die stets einen klaren, fast grafischen Charakter trugen, bis hin zum abstrakten Expressionismus in den 1960er bis 1980er Jahren.

Von der Druckgrafik, Zeichnung und Aquarell, über Textildruck und Keramik-Entwürfen bis hin zu grossformatigen Ölgemälden.

 

In ihrem Spätwerk in den 1990er Jahren, wandte sich die Künstlerin vermehrt der Ölmalerei zu, wobei Tschudi bereits seit den 1930er Jahren immer auch das Malen mit Ölfarbe pflegte. Bei diesen späten Ölgemälden kommt das Gefühl beim Betrachter auf, dass die Künstlerin alle ihre Disziplinen vereint und aus ihrer gesamten künstlerischen Erfahrung schöpft. Figurative Motive werden in stark abstrahierter Form dargestellt. Teilweise lassen nur die Bildtitel auf das im Ursprung gegenständliche Sujet schliessen. Dabei baut Lill Tschudi geschickt einen belebenden gestalterischen Rhythmus und auch scherzhafte Elemente in die Bildkompositionen ein. Insbesondere bei den Ölgemälden wird der Einfluss ihrer Lehrer aus Pariser Zeit sichtbar - André Lhote, Gino Severini und Fernand Léger.

Lill Tschudi - Stützmauer, Öl auf Leinwand, 1998, Foto: Manuel Schmid, 2025

Stützmauer, Öl auf Leinwand, 1998, Foto: Manuel Schmid, 2021

Lill Tschudi - Chaos auf dem Spielplatz, Öl auf Leinwand, 1997, Foto: Manuel Schmid, 2025

Chaos auf dem Spielplatz, Öl auf Leinwand, 1997, Foto: Manuel Schmid, 2021

Die grösste Stärke von Tschudis Werk liegt in ihrer Fähigkeit, die Dynamik ihrer Zeit in ihre Arbeiten zu integrieren. Ihre Kunst kann als eine Reflexion über den Wechsel von traditionellem Handwerk und den aufkommenden modernen Technologien verstanden werden. Sie ergriff die experimentellen Möglichkeiten der Drucktechnik und der Zeichnung, indem sie klassische Techniken mit neuen Medien kombinierte und so eine Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft schuf.

 

Das Werk von Lill Tschudi hat eine überraschend zeitlose Relevanz und ihr Schaffen wurde in den vergangenen Jahren durch Ausstellungen glücklicherweise auch wieder einem breiteren Publikum zugänglich gemacht.

In einer Welt, in der die Frage nach der Authentizität und der Bedeutung von Tradition in der Kunst immer wieder aufgeworfen wird, ist das Werk der Künstlerin ein faszinierendes Beispiel dafür, wie man aus der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit neue Ausdrucksformen finden kann. Tschudi zeigte, dass Innovation und Tradition keine Widersprüche sind, sondern sich gegenseitig bereichern können. Lill Tschudis Werk schafft so eine Brücke zwischen verschiedenen Epochen und Denkrichtungen. Ihre Kunst lebt von der Spannung zwischen der Modernität ihrer Zeit und dem Erbe vergangener Generationen. In dieser Synthese liegt ihre zeitlose Qualität. Die Fähigkeit, das Alte neu zu denken und gleichzeitig Raum für Neues zu schaffen. Es ist diese Fähigkeit, die auch für die zeitgenössische Kunst von heute von Bedeutung ist - Kunst als einen fortwährenden Dialog zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu begreifen.

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